24.Dezember: FROHE WEIHNACHTEN- Stille Nacht

Als Kind gesellschaftlich besonders engagierter Lehrer, war ich es gewohnt, dass es bei uns am 24.Dezember traditionell erst ein wenig später still wurde. Am Vormittag wurde noch das ganze Haus geputzt -mitunter auch an so weihnachtsrelevanten Orten wie dem Vorratskeller oder den Lichtschachten. Wenn man Glück hatte, wurde man gegen Mittag auserwählt, um die Geschenke bei den Verwandten abzuliefern. Das war bei uns Geschwistern immer besonders beliebt, aus mehreren Gründen: Erstens gab es bei jeder Tante Kekserl, (später sogar Bratwurst, Bier oder ein Schapserl) - und darüber hinaus war man für zwei Stunden vom Putzen befreit. Über Jahre haben wir als Familienmusik am Nachmittag die Weihnachtsfeier im Altersheim musikalisch begleitet, inklusive Krippenspiel. Mir wurde dabei meist die Rolle des Josef anvertraut, obwohl ich immer viel lieber der böse Wirt gewesen wäre. Den hat, aus meiner damaligen Sicht sehr rollendeckend, mein großer Bruder übernommen. Das Recht des Erstgeborenen. Wenn wir nach unserem Auftritt heimgekommen sind, war das Wohnzimmer dann endlich zugesperrt und meine Mama hat eine köstliche Rindssuppe zubereitet. Nudelsuppe mit ungebrühten Würsteln, eine Mettnsuppn war, ganz nach Stadt-Salzburg Tradition- unser traditionelles Weihnachtsessen. Unter dem Vorwand der “Geschenkeverpackung” habe ich mir dann bei versperrter Zimmertüre gerne eine kleine weihnachtliche Aufregungs-Auszeit gegönnt und mit meinen geliebten Paninipickerln, einer Holzmurmel und zwei selbstgebastelten Toren Fantasiefußball am Teppich gespielt. Dabei habe ich immer wieder aus dem Fenster geschaut, ob ein silbernes Auto im die Ecke biegt. Wenn nämlich Oma und Opa angekommen sind, ist plötzlich wie von Zauberhand die ersehnte, gelöste Weihnachtsstimmung eingekeht, auch wenn der Opa meist schon zwei Minuten nach seiner Ankunft mit dem Staubsauger in der Hand anzutreffen war, um bereits mehrmals gereinigte Stellen noch einmal zu perfektionieren. So ging es in die wirklich finalen Vorbereitungen: Besonders gern hätte ich immer auch die kunstvolle von Papa selbst gebastelte, liebevoll detaillierte Krippe aufgebaut, aber da durfte außer dem Schöpfer selbst niemand Hand anlegen. Wenn alles soweit fertig war, sind wir “Rauchen" gegangen, mit Weihrauch, Weihwasser und von Raum zu Raum. Besonders lustig fand ich immer, unsere Hündin Nora mit viel Weihwasser zu besprengen, was meist einen herzlichen, traditionellen Familienlachanfall zur Folge hatte. Dann haben wir die letzteStundevor der Bescherung im oberen Stock musiziert und uns quer durch die Weihnachtslieder gesungen. So lange, bis nach 10 Mal “Es hat sich halt eröffnet”, “Es wird schon glei dumpa” oder “Leise rieselt der Schnee” in allen Varianten endlich (!) das Glockerl geläutet hat und wir vor Freude glucksend die Stiegen runtergerannt sind. Stille Nacht wurde dann erst leuchtenden Augen vorm glänzenden Christbaum gesungen. In der Originalfassung mit Gitarrenbegleitung.

23.Dezember: VORFREUDE - Abendsegen

Morgen, Kinder wirds was geben. Unter dem von großer Produktivität und fast wöchentlicher Neueröffnung geprägten Jahr vergesse ich dieses besondere Gefühl oft: Zu meiner Freude kommt es dann traditionell und pünktlich spätestens am Vorabend des Weihnachtsfests. Da fühle ich immer noch wie ein Kind. Naiv, offen, ehrlich, sehr emotional und begeistertmungsfähig. Selbst in besonders stressigen Zeiten habe ich dieses Gefühl der frohen Erwartung, Vorfreude und Spannung auf dieses besondere Fest nicht verloren oder verlernt. Das liegt sicher an der Bedeutung, mit der meine Familie diese Tage feiert und schon immer geprägt hat. Für heuer habe ich mir selbst ein kleines Geschenk reserviert: Geist und Stimme werden bis zum Neujahr eine komplette Auszeit gegönnt. Darauf freue mich besonders. Mit vollem Akku und Elan darf es dann ab Jänner in Malmö losgehen.

An dieser Stelle- bevor es morgen ganz weihnachtlich -möchte ich mich bei Euch und Ihnen ganz herzlich bedanken, dass Ihr/Sie diesen Weg zusammen mit mir gegangen seid/sind. Besonders möchte ich auch Danke sagen für die Geduld, wenn sich das Türchen wie heute nicht immer gleich in der Früh geöffnet oder sich der eine oder andere Textfehler eingeschlichen hat. Mein Dezember wurde- zum Glück- noch ein unerwartet intensiver Arbeitsmonat. Konzerte im In- und sogar dem Ausland, Aufnahmen, Fernsehdrehs, Interviews und jede Menge an Planungen, Vorbereitungen oder Adaptionen aufgrund bekannter Umstände haben es gar nicht so einfach gemacht, jeden Tag Zeit und vor allem auch Muße für diese literarisch-musikalische Reise zu finden.

Apropos Umstände: Es gibt einen langen Post, den ich heuer nicht veröffentlicht habe, weil ich dafür nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden habe. Heute möchte ich aber ganz bewusst ein paar schöne Punkte daraus erwähnen. Weihnachten ist das Fest der Harmonie. Der Zeitpunkt, aufeinander zuzugehen, Konflikte zu lösen. Das Fest der Liebe, heißt es ja. Das mag Angesichts der breiten Gräben, die sich in unserer Gesellschaft aufgetan haben, diesmal besonders absurd erscheinen. Aber wünschen darf man sich ja heute trotzdem etwas: Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass es heuer auch ein Fest der Empathie wird. Ein Fest der Aufmerksamkeit. Und dass in der Folge da und dort der eine oder andere Graben zumindest kurzfristig überbrückt werden kann. Dass die Solidarität in den Mittelpunkt tritt. Nicht die Angst. Nicht die Verschwörungstheorien aller Art, keine Selbstdarstellung. Geben wir denen, die das noch schamlos ausnutzen keine Bühne. Irgendwann haben wir das überstanden, aber das geht nur gemeinsam! Bitte helfen wir zusammen und lassen das Ego beiseite. Schützen wir die Schwächeren und uns selbst. Passen wir aufeinander auf. So macht man das in einer Gemeinschaft, so macht man das in einer Herde.

22.Dezember: EIN NEUES PROJEKT- Johanna Dumfart, Flo Boarisch

Der Dezember ist ja auch immer ein Monat, wo wir unser vergangenes Jahr Revue passieren lassen. Ein absolutes, vielleicht sogar das persönliche, künstlerische Highlight war die Zusammenarbeit mit Tschejefem, Michael Dangl und Sascha El Mouissi im Rahmen der Festwochen Gmunden. Zusammen mit dem großartigen Franz Welser-Möst durfte ich mit “FRANZ Schubert und die Volksmusik” ein Programm konzipieren, dass am Ende des Tages eine Publikumsreaktion ausgelöst hat, wie ich sie noch kaum einmal erleben durfte. Nicht nur bei den Zuhörer:innen, sondern auch bei uns auf der Bühne war die Begeisterung riesig. Ganz selten hat man das Gefühl, ein menschliches, wie auch musikalisches Dreamteam gefunden zu haben. Jede einzelne Probe war ein Fest und das spontan miteinander Musizieren ein Geschenk. Franz Schuberts enge Beziehung zur Volksmusik in einem Gesamtkunstwerk voller Gefühl, Musik und Schauspiel erlebbar zu machen, war eine Idee, die uns noch langeund viel Freude bereiten wird. In diesem Programm wird innig gesungen - vom Schubertlied bis hin zum Jodler - und viel musiziert, wobei der Flügel dabei genauso intensiv zum Einsatz kommen wie Zieharmonika, Klarinette oder Zither. Michael Dangls berührende Zeichnung vom Franz macht den Abend dann perfekt. Am Ende des Abends wurde das Publikum noch ein bisschen überrascht. Der Opernsänger wechselte in die Lederhose, nahm sich eine Ziach und durfte sich an die Seite der genialen Volksmusiker setzen. Ich weiß es noch genau, wie ich zur ersten, gemeinsamen Probe mit Tschejefem nach Oberösterreich gefahren bin. Mit im Gepäck meine Zieharmonika, die ich davor leider viel zu lange unberührt in ihrem Rucksack gelassen habe. Dank Johanna, Fabian und Michaels Zuspruch und ihrer liebenswerten Bereitschaft, mit einem Dilettanten wie mir zu musizieren wurde mir ein großes (Weihnachts)geschenk gemacht. Für alle Nicht-Volksmusiker: Das ist ungefähr so, wie wenn ein Blasmusikant einmal kurz bei den Philharmonikern mitspielen darf. Flo Boarisch. TSCHEJEFEM mit Johanna Dumfart an der Diatonischen Harmonika, Michael Dumfart an der Bassklarinette und Fabian Steindl an der Gitarre. Und ich durfte ein bissl “zuwespün". Aus purer Freude!

21.Dezember: IM KONZERT - Ö1 Konzert Rafael Fingerlos & Sascha El Mouissi

Alle Jahre wieder. War es im Vorjahr noch ein Kurz-Benefiz-Liederabend, so steht das heutige Türchen steht ganz im Zeichen eines ganzen Konzerts, welches wir vor drei Wochen im Radiokulturhaus Wien live auf Band aufgezeichnet haben und das vor wenigen Augenblicken auf Ö1 ausgestrahlt wurde. Mit meinem langjährigen Liedpartner Sascha durfte ich unser ursprünglich vor Publikum geplantes Konzert "Stille und Nacht" mitten im Lockdown und unter Ausschluss der Öffentlichkeit musizieren. Trotzdem muss man sagen, dass wir - auch dank der im Publikum anwesenden Techniker und Ö1 Mitarbeiter eine wirklich schöne Livespannung erzeugen konnten. Bereits seit meinen absoluten Anfängen habe ich es immer so gehalten, dass ich - sobald auch nur eine einzige Person im Publikum sitzt - und egal in welchem Rahmen ein Autritt stattfindet immer mit 100 Prozent Gefühl und musikalischer Hingabe musiziere. So, als würde es in diesem Moment um Alles gehen. Dann, und nur dann hat man eine Chance, die volle Palette an Gefühlen, Farben und Ausdruck zu vermitteln und transportieren. Wie wichtig aber zumindest ein einziger zuhörender Mensch ist, wurde uns in den letzten Monaten immer wieder vor Augen geführt. Das war auch diesmal so. Und wir können es kaum Erwarten, bald wieder viele Gesichter im Publikum begrüßen zu dürfen, dann kann sich die gemeinsame Spannung und das musikalische Erlebnis sogar noch potenzieren.
Wer möchte, ist herzlich eingeladen, sich unter folgendem Link unser vorweihnachtliches Programm anhören. Als Zugabe gibt es eine kleine Überraschung. Mein Papa, Armin Fingerlos erhält seinen Platz auf der virtuellen Ö1-Bühne. Von Stille und Nacht.

Das Ö1 Konzert vom 21.Dezember 2021

20.Dezember: DAS MUSIKANTENTUM- Wengerbach Musi

Es hat mich immer schon besonders fasziniert, wenn junge und ältere Menschen Ihre Instrumente in die Hand nehmen und ganz selbstverständlich, ohne viel Kommunikation oder gar Probenarbeit miteinander musizieren. Ohne Noten, nach Gehör. “Oawaschl auf” hat mein Harmonikalehrer immer gesagt. Mit blindem Verständnis und großem Vertrauen in die musikalischen Partner:innen. Das ist die Basis für das so schöne, freie musikantische und authentische Zusammenspiel in jedem Genre. Plötzlich stimmt jedes Timing und es entsteht eine riesengroße musikalische Freiheit, ein richtiger Drive. Und dann geht es irgendwann nur mehr um den Ausruck. Besonders erlebbar wird das meiner Erfahrung nach in der weltweiten Volksmusik oder dem Jazz. Je besser man sich kennt und aufeinander eingespielt ist, desto größer wird der freie Spielraum. Jede Musikerin und jeder Musiker versteht sein oft jahrelang erlerntes Handwerk und erfüllt dann im Ensemble eine wichtige Aufgabe- sei es eine Stimme, die Begleitung oder die Bässe. Lauter gleichbedeutende Puzzlesteile um ein Musikstück dann im Endeffekt zum Klingen zu bringen.

Ich habe das große Glück, mich in beiden Welten, zu Hause fühlen zu dürfen und meine jeweiligen Erfahrungen ins andere Genre einbringen zu können. Die Basis für meine Musik bildet aber das immer das (Volks)Musikantentum, das aufeinander Hören, die Demut vor der Musik, das Gespür für Zusammenklang und die musikalische Freiheit. Diese Parameter bringen selbstversändlich auch den klassischen Musiker in mir auf ein neues Level. Franz Welser-Möst hat zu mir einmal gesagt: eigentlich müsste jeder Musikstudent verpflichtend ein paar Semester Volksmusik haben. Wie Recht er damit hat! Das würde auch vielen Kolleg:innen noch einmal eine neue Dimension eröffnen.

19.Dezember: DER UNTERSCHÄTZTE - Peter Cornelius

Interessanterweise finden sich im klassischen Liedrepertoire gar nicht so viele Weihnachtslieder. Eines der schönsten und bekanntesten, die "Drei Könige" entstammt der Feder eines weitgehend völlig unterschätzten Komponisten - Peter Cornelius.
Kaum ein Vertreter der Romantik hätte es meiner Meinung nach mehr verdient, in der Musikgeschichte für seine Verdienste um das Kunstlied ausreichend gewürdigt zu werden.
Dem großen Selbstzweifler und Wagner-Verehrer möchte ich deshalb am heutigen, vierten Adventsonntag ein eigenes Türchen mit gleich zwei musikalischen Einlagen widmen.

Nicht nur, dass Cornelius die schönen und literarisch wertvollen Texte seiner Vertonungen stets selbst verfasst hat: Er hat es - wie sonst vielleicht nur Brahms- verstanden, eine Baritonstimme gesund zum Klingen zu bringen und dabei immer die musikalische und emotionale Aussage zu transportieren - ungefiltert, sensibel und immer von einer großen Ehrlichkeit geprägt. Sicher schwingt auch eine persönliche, stimmliche Affinität in meiner Bewunderung für diesen Meister mit: Es gibt kaum Werke, die mir so in der Kehle liegen wie seine - leider wenigen- Lieder. Ich ertappe mich immer wieder dabei, vor wichtigen Aufführungen in der Garderobe - aus purer Freude und acapella - Werke von Cornelius singen. So auch gestern, vor unserem Weihnachtsoratorium in Porto.

Mit seiner sensiblen und dabei doch doch kraftvollen Tonsprache berührt mich diese Musik von der ersten Note an. Sie steht für pures, authentisches und vor allem gut gemachtes Handwerk - man könnte auch von unterhielten Genialität sprechen.
Und doch bleibt den Interpret:innen und den Zuhörer:innen unweigerlich ein Gedanke: Wusste der ewige Selbstzweifler Peter Cornelius eigentlich, wie gut er ist? Wahrscheinlich nicht. Zeit seines Lebens blieb er ein einfacher, ehrlicher, (vielleicht zu) selbstkritischer Musiker, dem es immer nur um die Sache selbst gegangen ist. Vorbildlich und berührend.

18.Dezember: DAS SINGEN IN GEMEINSCHAFT- Haydn, Die Engel erzählen

Dass das Singen etwas Wunderschönes ist, brauche ich an dieser Stelle nicht mehr weiter ausführen. Besonders erschließt sich diese Schönheit, wenn man sie in Gemeinschaft erlebt. In Gabriel Faurés Requiem, einem meiner absoluten Lieblingswerke, kommt unweigerlich die Gänsehaut, wenn ich zusammen mit dem Chor das berühmte “Libera me” musizieren darf. Ganz egal, ob man jetzt Mozart, Haydn, Brahms, Mendelssohn oder Bach hernimmt: Das gemeinsame Singen mit einem begeisterten Chor lässt immer einen unbeschreibbaren Zauber der Gemeinschaft entfalten, für Chorsänger:innen, Solist:innen und natürlich auch für das Publikum. Das tief prägende Erlebnis solcher Momente hat auch dazu geführt, das fast alle Oratorien oder Requien oder auch Orchesterwerke wie zum Beispiel Carmina Burana oder die 8.Symphonie von Mahler bis heute zu ganz wichtigen Säulen in meinem Repertoire geworden sind. Wenn ich so ein zurückdenke, verdanke ich es ehrlich gesagt der Anonymität des Chores, dass ich meine eigene Stimme für mich entdecken durfte. Bei lauten besonders lauten Stellen habe ich aus vollster Kehle mitgesungen, immer voller Freude und ohne groß nachdenken zu müssen. So habe ich - damals eher unsicher - mehr und mehr den Mut sammeln dürfen, mich zu öffnen und wenig schon meine ersten, kleinen solistischen Entwicklungschritte - ebenfalls in der Chor- und Ensemblegemeinschaft - gehen dürfen. Heute darf ich sensationelle Profichöre erleben und weiß es trotzdem immer noch ganz besonders zu schätzen, wenn ich mit Menschen die Bühne teile, die aus reiner Freude singen. Der eine oder andere vielleicht nicht ganz perfekte Ton wird mit viel Begeisterung und Einsatz mehr als nur wettgemacht. Für mich ist das immer wie heimkommen. Im heutigen Video darf ich mit dem Radio Wien Chor ( bestehend aus lauter singenden ORF Mitarbeiter:innen), dem RSO Wien und geschätzten Kolleg:innen “Die Engel erzählen” aus Haydns Schöpfung singen. Live aufgezeichnet Ende Oktober im 2021 Stephansdom, für “Licht ins Dunkel”.

17.Dezember: SPONTANITÄT UND INDIVIDUALITÄT- Fazil Say, Black Earth

Es gibt Dinge in der Welt der klassischen Musik, die mir aus Interpretensicht manchmal viel zu kurz kommen. Die kreative Spontanität. Die Überraschungsmomente. Die individuelle, ehrliche und ungefilterte Emotion. Das Risiko. Die Authentizität.

In mir wohnt eine tiefe Sehnsucht nach dem ganz Individuellen, dem Unkopierbaren. Mit der Konzeption eigener Programme, der Suche nach neuem, sowie verschollenem Repertoire und gewagten Interpretationsansätzen habe ich Wege gefunden, diesem Wunsch nachzukommen. Ein nächster, mutiger Schritt waren Saschas und meine Eigenbearbeitungen von Volksliedern, in denen ich auch meine mir in die Wiege gelegte Liebe zur Volksmusik und dem Jazz voll ausleben kann. Es gibt fast nichts Schöneres, als auf der Bühne zu stehen und das Publikum mit etwas Neuem oder Eigenem zu überraschen. Seit unserem Entschluss, mit Arrangements und Bearbeitungen respektvoll aber aktiv in den musikalischen Schaffensprozess einzugreifen, haben wir in unserem Vortrag viel an Authentizität und Natürlichkeit gewonnen - und davon hat auch wiederum das klassische Repertoire profitiert. Gleichzeitig entziehen wir uns damit aber auch ganz bewusst den mitunter schon nervenden Vergleichen, die meist zur Folge haben, dass die Menschen vor lauter vorgefertigten Meinungen gar nicht mehr mit offenem Herzen zuhören. (Fischer-Dieskau hat das aber so gemacht…. Na, und?)

Zurück zum kreativen Schaffen: Es muss unglaublich gewesen sein, Schubert oder Mozart live erlebt haben zu dürfen. Von einigen Genies gibt es ja sogar Dokumente - beispielsweise existieren Aufnahmen von Richard Strauss, in welchen er seine Frau begleitend von Lied zu Lied - quer durch die Harmonien - improvisiert. Jazzy. Genial. Heute diskutieren manche Liedbegleiter ernsthaft, ob man mehr als ein Arpeggio vor einem Strauss-Lied machen darf.

Man darf als Interpret fast alles, so lange es mit Demut und Respekt vor der Musik passiert und nicht allein dem Zweck der Selbstdarstellung dient. Auch kleine Schritte in diese Richtung erzeugen eine große Wirkung. Mit Mut zum Risiko und zur Emotion ist schon viel erreicht. Ich schreibe diese Gedanken voll Verehrung für die genialen Werke, die wir Musiker:innem immer wieder zum Leben erwecken und Ihnen dabei unser persönliches, neues Emotionengewand verleihen dürfen. Je ehrlicher und individueller wir diesen Prozess gestalten können, desto authentischer und erlebbarer wird die Interpretation. Dann springt auch automatisch der berühmte Funke über - es entsteht spontane Begeisterung.

Dazu passt das heutige Video wie gemalt. Es ist Zeit für die erwartete Zugabe nach einem erfolgreich interpretierten Klavierkonzert. Der Pianist schlägt die ersten Akkorde an. Und dann greift der großartige Fazil Say plötzlich in (!) den Flügel. Black Earth.

16.Dezember: OHNE WORTE - Ozeanrauschen

Eigentlich hatte ich für das heutige Türchen wieder einen langen Beitrag geschrieben. Aus aktuellem Anlass möchte ich diesen für einen der kommenden Tage aufsparen und euch dafür an meinem gestrigen Erlebnis teilhaben lassen. Nach der Probe hatte ich das große Glück, zur Atlantikküste fahren zu können. Bei 20 Grad und strahlendem Wetter hat mich dieser Anblick so fasziniert, dass mir die Worte gefehlt haben. Es ist erstaunlich, was solche Naturerlebnisse mit unserem Körper und Geist machen. Nach einem ausgiebigen Strandspaziergang war ich völlig geerdet und komplett ruhig. Genau diesem Grund möchte ich auch gar nicht mehr weitererzählen, sondern den Ausdruck meiner Gefühle und Gedanken den - von mir amateurhaft eingefangnen - vorweihnachtlichen Eindrücken von einem der südlichsten Punkte Europas überlassen.

15.Dezember: DEN MOMENT GENIEßEN -

Back on track. Während ich diese nachdenklichen Zeilen verfasse, fliege ich mit einer kleinen Propellermaschine von Lissabon nach Porto. Während ich so aus dem Fenster auf die kleinen Lichter und die Küste schaue, bin ich sehr dankbar, dass mich mein Weg dieses Mal in ein Land geführt hat, wo die unglaublich hohe freiwillige Impfquote dazu führt, dass das kulturelle und soziale Leben fast ganz normal ablaufen kann und ich wieder einmal ohne gröbere Einschränkungen meiner großen Leidenschaft, meiner Berufung nachgehen darf. Es fühlt sich fast an, als würde man kurz in die Vergangenheit oder gar eine andere Welt reisen. Ich bin sehr berührt, da mir bewusst wird, wie selten und kostbar diese Momente geworden sind. Wir bringen hier in Portugal am Freitag und Samstag das Weihnachtsoratorium zu Gehör. Mit allem was dazugehört, dem Chor und Orchester, den Solist:innen- wird dieses Meisterwerk zweimal vor - bis auf den letzten Platz - ausverkauftem Haus im Casa da Música in Porto aufgeführt.
Vor 2 Jahren hätte ich so ein Konzert wahrscheinlich für selbstverständlich(er) gehalten. Im alten "Normalfall" - die Anführungszeichen könnten in diesem Kontext von keiner größeren Bedeutung sein - hätte ich die Zeit im Flugzeug allerdings nicht zum Nachdenken oder gar zum Niederschreiben meiner mitfliegenden Gedanken nützen können: Diese kostbare Stunde hätte ich intensiv nützen müssen, um mich irgendwie vom letzten Projekt zu erholen und mich gleichzeitig, last minute, aber professionell-schnell auf das nächste Werk einzustellen. Immer wieder den Schalter für nächste Aufgabe umlegen. Den Klavierauszug nochmal schnell memorieren, kleine stimmliche Details mental durchzugehen. Funktionieren. Es ist schön, wenn es von Projekt zu Projekt geht, absolut keine Existenzängste herrschen und man auf einer positiven Welle der Energie und des Erfolgs getragen wird. Aber es ist auch gut, Zeit zu haben. Zeit um eine Sache in Ruhe und gewissenhaft zu machen. Das habe ich während der Pandemie sehr schätzen gelernt und werde versuchen, diese Errungenschaft so gut wie möglich in meinen zukünftigen Plänen zu berücksichtigen. Mir ist bewusst geworden, welch ein Luxus es ist, sich ganz in Ruhe vorbereiten und dann auf der Bühne frei schwingen zu können. Für die kommenden Tage wünsche ich mir, diese besonderen, privilegierten Momente genießen zu können. Egal wo: Im Flugzeug, in Porto, auf der Bühne. Das könnte sehr gesund werden.

14.Dezember: VERTRAUEN UND GLÜCK - Perlenfischer-Duett

Gestern habe ich kurz meine tiefe Dankbarkeit für meinen bisherigen Weg ausgedrückt. Er ist nicht stromlinienförmig verlaufen und wurde bis heute von vielen gelungenen Momenten, aber auch einigen Rückschlägen geprägt. Das mir geschenkte Vertrauen von Menschen in Entscheidungspositionen, war der wichtigste Faktor, wenn es “funktioniert” hat. Mir wurde eine große Chance gegeben, die ich dann im Idealfall auch nützen konnte. An anderen Tagen war ich in meiner persönlichen Entwicklung noch nicht weit genug, um die mir dargebotene Bühne zu nützen und mich zu beweisen. Diese Misserfolge waren dann immer die größte Triebfeder, nach den Ursachen zu suchen und dadurch die Weiterentwicklung zu fördern. Ich habe dabei zwei sehr wichtige Dinge gelernt: Nie die Schuld bei den Anderen suchen, sondern sich immer die ehrliche Frage stellen: “Was kann ich -in meinen Möglichkeiten, in meinem Handwerk - verbessern”. Die zweite, sehr heilsame Weisheit: Man kann nicht allen gefallen. Das war für einen - fast harmoniesüchtigen - Menschen wie mich die schwierigste Lektion.
Es heißt ja immer wieder, dass man viel Glück haben muss. Meiner Erfahrung nach - auch wenn ich die Wege vieler Kolleginnen und Kollegen beobachte - ist es so, dass jeder Mensch, der sein Handwerk - seinem eigenen Potential folgend - bestmöglich und mit einem großen Maß an ehrlicher Selbstkritik (!) ausübt, wird früher oder später die oben besprochenen Chancen bekommen. Irgendwann. Und wenn dann so eine Möglichkeit auftaucht, steht dahinter meistens eine Person, die sagt: Mach das, ich vertraue Dir! Im -zugegeben sehr seltenen - Idealfall heißt es dann noch: “Mach Dir keinen Druck, auch wenn irgendetwas schief gehen sollte, ist das kein Problem”. Dieses Vertrauen gibt Ruhe, gibt Sicherheit - und ist die Basis für Höchstleistungen.
Ein berühmter Fußballtrainer hat einmal über den Erfolgsfaktor Fehlertoleranz gesprochen. Nur wenn wir Fehler zulassen und daraus lernen, entwickeln wir uns weiter. Fehlervermeidung wird immer zur Vorsicht führen, die wiederum verhindert, dass man - frei schwingend und ohne Filter - sein gesamtes Potential ausschöpft. Bei einem Gastspiel in der Elbphilharmonie hat Adam Fischer zu den Wiener Philharmonikern kurz vor der Anspielprobe gesagt: “Ich erwarte heute von Ihnen sieben Fehler. Mindestens. Die Hauptsache ist, dass sie nicht ohne Risiko spielen.”
Apropos Risiko: Mein Staatsoperndirektor Dominique Meyer hat mich beispielsweise gerne - und zum Glück immer wieder - mit den größten Partien einfach ins kalte Wasser geworfen. Im Nachhinein und überhaupt bin ich ihm sehr, sehr dankbar. Gott sei Dank bin ich fast immer immer geschwommen. Ohne dieses, sein Vertrauen, wäre ich jetzt nicht da, wo ich sein darf, als Sänger und Persönlichkeit. Mein Manager hat vor vielen Jahren ein Brahms-Lied auf YouTube gehört. Martin hat es gefallen, er hat mich angerufen und mir dann in der Folge einen Liederabend bei der EXPO in Mailand verschafft. Das Konzert ist erfolgreich verlaufen und auch die ersten nachfolgenden Vorsingen konnte ich erfolgreich gestalten. Mir wurde vertraut und ich war einfach “weit genug”, um dieses Vertrauen zu bestätigen. Der Rest ist eine auf Freundschaft basierende Zusammenarbeit und eine wunderbare Geschichte, die bis heute bestens funktioniert.
An der Semperoper Dresden, meinem ersten großen Opernhaus, war es dann ein besonders lustiger Faktor, der zu meinem Engagement (und vielen Folgeauftritten) führen sollte. Die damalige Operndirektorin hatte in einer Sitzung mit ihrem Stab drei Namen auf dem Tisch liegen, um den vakanten Papageno in einer Zauberflöten-Serie zu besetzen. Ich kam frisch vom Young Singers Project bei den Salzburger Festspielen und war hier so etwas wie ein aufgehender Stern, aber zumindest in Deutschland noch völlig unbekannt. Alle drei vorgeschlagenen Sänger hätten die Qualifikation zumindest am Papier gut erfüllt. “Wir haben uns die ähnlichen Lebensläufe durchgelesen und dann haben wir uns einfach für den Burschen mit dem lustigsten Namen entschieden”, hat sie mir später erzählt.
Mein bestens vorbereitetes Debüt war ein Erfolg und ich wurde wieder eingeladen. Eine solche Wiedereinladung ist wahrscheinlich das schönste und ehrlichste Kompliment, welches man als Künstler erhalten kann.

13.Dezember: WARUM WIR TUN, WAS WIR TUN… - Gabriel Fauré, In Paradisum

Warum tue ich mir das an? Das denke ich mir meistens dann, wenn der Druck wieder einmal fast unmenschlich hoch wird, links und rechts die Ellenbogen ausgefahren werden oder selbst der kleinste, natürlichste Fehler in der Zeitung besprochen wird. Einen "normalen" Beruf wünsche ich mir dann kurz. Aber, Moment, was ist denn überhaupt ein normaler Beruf? Bin ich denn überhaupt “normal”? Will ich das sein?
In jedem Feld gibt es Herausforderungen, die einem in manchen Momenten unüberwindbar erscheinen - Zeiten, in denen jede Handlung leicht von der Hand geht (“Wånns lauft, dann laufts") und dann jene Tage, wo einfach überhaupt nichts funktionieren will. Beim Singen ist es ja so, dass der eigene Körper das Instrument ist und schon aus ganz natürlichen Gründen einer biodynamischen Kurve unterliegt. Es kommt vor, dass man aufwacht und von der ersten Sekunde an spürt, dass heute alles nahezu perfekt funktionieren wird - an solch seltenen Tagen hat man dann meistens kein Konzert. Leider gilt das selbstverständlich auch umgekehrt, und die daraus resultierenden K(r)ampfabende rettet und “überlebt” man dann mit besonders hohem Energieaufwand und einer hoffentlich guten Technik.

Im Sommer 2021 war ich mental müde, habe in der Folge an einem Steg am Millstättersee meinen bisherigen Weg ganz ehrlich reflektiert und dabei etwas weniger optimistisch als sonst in die Zukunft geblickt.
Nach einer Weile saß ich da, schaute aufs Wasser und mit einem Mal überkamen mich eine tief empfundene Dankbarkeit und Demut. Es ist mir - wieder einmal - siedend heiß bewusst geworden, was in den letzten Jahren alles gelungen ist, welch einen privilegierten Weg ich beschreiten darf und dass meine persönliche Geschichte alles andere als selbstverständlich ist.
Es ist mir darin nie um einen Ort oder einen Karriere-Erfolg, sondern immer um das Singen und Musizieren selbst gegangen. Mein großes Ziel für die kommenden Jahre ist, dass ich mir diese Einstellung zu meinem Beruf bewahren kann. Apropos: von einem Beruf kann man in meinem Fall gar nicht sprechen, eher von einer Berufung. Wann immer ich singe, ist es, als könnte ein Teil von mir fliegen, von Herz zu Herz. Es fühlt sich fast immer an wie eine gesunde Befreiung, die einmal mehr und einmal weniger gelingt.

Schließlich dann wäre noch diese unglaubliche Musik. Gerade vor ein paar Wochen sitze ich im Saal in Brüssel, als die Brussels Philharmonics unter der Leitung des begnadeten Musikers und wunderbaren Menschen Andreas Spering - ohne Chor, ohne Solisten - einzelne Stellen des Fauré Requiems probieren.
Andreas dreht sich ein paar Mal zu mir um und grinst breit. Wir müssen es gar nicht aussprechen, in unseren Augen kann man ablesen, dass wir in dem Moment genau das Gleiche denken.
”Für so etwas Schönes bekommen wir auch noch Geld? - eigentlich müssten wir ja dafür bezahlen, diese himmlischen Klänge hier erleben zu dürfen.”

12.Dezember: LACHEN AUF DER BÜHNE - Gaudete shreds

In der Klassik-Szene hat es gefälligst immer ernst zuzugehen, sie wird schließlich nicht umsonst und wissenschaftlich korrekt als E-Musik bezeichnet. Es geht um Perfektion, in den Pausen darf kurz und ausgiebig gehustet werden, Fehler sind sowieso nicht erlaubt. Lachen schon gar nicht. Wie gerne würde ich so manchen engstirnigen Menschen genau diesen - leider weit verbreiteten - Irrglauben beispielsweise einem Wolferl Mozart verklickern sehen. Die Reaktion des exzentrischen Genies wäre sicher sensationell gewesen.

Natürlich gibt es auch Werke, in denen die Komik nicht unbedingt an allererster Stelle steht. Irgendwie finde ich es bezeichnend, dass ich genau in einem solchen Stück meine mitunter bislang lustigsten Momente auf der Bühne erleben konnte. Im Oktober 2019 durfte ich unter dem verehrten Christian Thielemann in “Die Frau ohne Schatten” mein Rollendebüt als “Einäugiger” feiern. Während der Premieren-Aufführungsserie, ein paar Monate vor unserem Rollendebüt, hatten mein Tenorkollege Michael (als “Buckeliger”) und ich eine Einspringer-Probe, in welcher wir- staatsopernüblich- die gesamte Szene in ein paar Stunden erlernen mussten. Von einer anstrengenden Woche mit Rollen in fünf verschiedenen Produktionen sichtlich gezeichnet, waren wir verständlicher Weise völlig “durch”, und in der Folge - wie man sagt - auch ein bisschen “drüber”. Dazu kommt, dass wir ohnehin, unserem Naturell folgend, während der Probenarbeit und manchmal zum Leidwesen der Hausregisseure kindische Späße machten um ein bisschen für Auflockerung sorgen. Zurück zur besagten Probe: Wir bekamen nebst den Probenkostümen die Originalrequisiten in die Hand: Dazu gehörten kleine Laternen mit der man der “Frau ohne Schatten” in den unpassendsten Szenen - “Sie hat keinen Schatten” - einen herrlich schönen ebensolchen verpassen konnte. Was wir aber noch nicht wussten: In der Originalszene auf der Bühne hatte die Beleuchter den für die Handlung ja nicht ganz unwesentlichen Umstand der Schattenlosigkeit auch nicht ausreichend bedacht. Trotzdem haben wir schon auf der Probebühne mit dem ersten Klick unserer Laternenschalter zu Kudern begonnen und damit einen Trigger erschaffen, der uns ein paar Monate später mit aller Kraft einholen sollte.

Der große, strenge Thielemann dirigiert also sein Kernrepertoire, seine Jünger sind dafür extra aus ganz Europa angereist. Es ist alles groß, laut und darüber hinaus für alle Beteiligten eine musikalische Herausforderung. Die Anspannung auf und hinter der Bühne ist zum Greifen spürbar, als die drei Brüder - der Einarmige, der Buckelige und der Einäugige - ihren letzten großen Auftritt haben. Mit ihren Laternen betreten sie - in einem dramatischen Augenblick und hochverängstigt - die Bühne. Michael geht neben mir, wir “entzünden” unsere Laternen mit einem “Klick” und sehen den Schatten. Was soll ich sagen - es war um uns geschehen. Wer schon einmal einen Lachanfall hatte, weiß ganz genau, wovon ich spreche. Man beißt sich auf die Zunge, versucht alles um sich abzulenken und nichts will helfen. Der gut gemeinte Rat meines Kollegen: “Denk an Brot, du musst an Brot denken” hat es nur noch schlimmer gemacht. Es hat mich geschüttelt vor Lachen und mir sind die Tränen runtergeronnen. Von der Seitenbühne hörten wir unsere Abendspielleiterin trotz lautester Musik im breiten niederösterreichen Dialekt: Heats auf jetzt, des gibt’s jo nit, schau da de zwoa an!” Ich muss sagen, dass das diese verzweifelten Zwischenrufe die ohnehin schon urkomische Szene nicht entschärft haben. So ging das also eine gefühlte Ewigkeit und die größte Herausforderung sollte noch bevorstehen. In der berührenden Schlussszene, als die ungeborenen Kinder die Bühne betreten und man die vergossenen Tränen im Publikum geradezu fühlen kann, hatte ich meine szenische Endposition ganz vorne an der Rampe, neben dem Soufleurkasten, Aug in Aug mit Christian Thielemann.
Gerade habe ich mich mit allergrößter Mühe beruhigt und mich endlich ganz in die Rolle der allgemeinen, stummen Betroffenheit einfinden können. Plötzlich spürte ich, stets in des Meisters gestrengem Blickfeld, die mich im Nacken kitzelnde Haand meines, sich hinter mir versteckenden, schelmischen und natürlich kichernden Kollegen. Ich musste - zum Glück mit geschlossenem Mund und folglich relativ leise- so loslachen, dass mir die Tränen seitlich aus den Augen weggespritzt sind. Mit letzter Geistesgegenwärtigkeit bin ich, gekrümmt und das Gesicht verbergend, in die Knie gegangen. Ich spielte einen Weinanfall, völlig berührt vom Erscheinen der Ungeborenen. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: “Eine besondere Erwähnung verdient der Einäugige des Rafael Fingerlos, der mit seiner berührenden und aufopfernden Zeichnung des leidenden Barak-Bruders auf sich aufmerksam machte.”

Heute gibt es - zum Thema passend - ein humorvolles Stück. “Shreds” sind kleine Videokunstwerke, wo Musikstücke besonders geschickt mit einem neuen, meist lustigen Ton unterlegt werden. Diesmal hat des die großartigen King Singers aus England erwischt. Gaudete! Freuet euch!

11.Dezember: NEUGIER - Schubert, Piano Trio Op.100, Andante con moto

Am 4.Dezember habe ich Euch ja von meinem Schulkonzert im Lungau erzählt. Es ist mir immer ein ganz besonderes Herzensanliegen, meine Musik und mein (Kunst)Handwerk immer wieder persönlich dorthin zu tragen, wo es hingehört. Zu den Menschen. Ganz besondere Erfahrungen darf ich an Orten und in Regionen machen, wo die Menschen noch einen völlig unverbrauchten Zugang zur klassischen Musik haben. Wann immer die Zuhörerinnen und Zuhörer sich dann auch dem vermeintlich Unbekanntem öffnen, passiert eine unbeschreibbarer Dialog zwischen den Künstlern und dem Publikum und es ist fast, als würde man einer Uraufführung beiwohnen. Eine unserer intensivsten Begegnungen mit Schuberts Winterreise war nicht etwa bei der Schubertiade, in Luzern, der Tonhalle Düsseldorf, dem Wiener Konzerthaus oder Musikverein: Sie “passierte" in einer Metallbau-Werkstatt im Lungau vor 350 neugierigen Menschen.

Offenheit, Neugier und die immerwährende Suche nach dem Berührenden sowie einer musikalischen Ausdrucksform und deren Entwicklung waren auch meine Triebfedern, die mir meine, mich heute so tief begeisternde Welt eröffnet haben. Eine Welt, in der ich auch jene Gedanken und Gefühle beschreiben kann, für die mir davor - speziell in meiner Jugend - der Mut und die Worte gefehlt haben. Am Ende unseres Schulkonzerts in Mariapfarr habe ich deshalb spontan ein kleines Plädoyer gehalten:

”Bitte redet über eure Gefühle, wenn ihr traurig seid, wenn ihr Euch gut fühlt, wenn Ihr verliebt seid. Wenn Euch die Worte fehlen, dann singt, zeichnet, dichtet, rappt, filmt, fotografiert, schreibt. Staunt und findet einen Weg, eure Gedanken auszudrücken. Brennt für eine Sache!

Meine Kunst, mein Handwerk war bislang immer für mich da, auch - oder besonders in den Momenten, in denen ich keine Perspektive gesehen hab. Sie zwingt mich täglich, mich intensiv mit mir selbst auseinandersetzen und macht mich zu einem besseren Menschen. Sie entwickelt sich ständig und nimmt mich dabei mit. "Du holde Kunst, ich danke Dir dafür"


10.Dezember: NACHTGEDANKEN - Heimliche Aufforderung

Gestern haben wir ja über die Stille gesprochen. Heute soll das Türchen ihrer Schwester, der Nacht gewidmet werden. Von der Liebe abgesehen, gibt es in der Lyrik und in den Gedichtvertonungen kaum ein Thema, welches Dichter:innen und Komponist:innen derart in ihren Bann gezogen hat. Entstanden sind diese Werke vor allem in einer Zeit, als die Nacht noch all ihre Schattierungen und ihre große Kraft ausstrahlen konnte. Heute versuchen wir an allen Ecken und Enden die Dunkelheit mit Licht zu vertreiben. Geradezu verschwenderisch gehen wir mit unseren Ressourcen um, nur um die kurzfristige Illusion eines nicht enden wollenden Tages zu erschaffen. Mit diesem kümstlichen Eingriff schaffen wir uns Sicherheit und vertreiben nächtliche Urgefahren. Mit dieser Vertreibung nehmen wir rauben wir der Nacht aber gleichzeitig ihren eigentlichen Sinn: Erholung, Regeneration Neubeginn. Und wir werden - trotz allem Licht aus Lampen, Scheinwerfern und Bildschirmen - blind für ihren Reichtum. Für ihre Schönheit. Die Nacht hat viele Farben. Da steht sie für Liebe und Leidenschaft - manchmal vorsichtig, ja fast zögerlich, dann sich mehr und mehr steigernd. Dann symbolisiert die Nacht dann Verlust, Trauer, Schmerz und Einsamkeit in all ihren Schattierungen. Dort tief beruhigend und berührend, dann fast beängstigend dunkel und düster. Im heutigen Video erleben wir sie voller Leidenschaft, voller Gefühl: “Oh komm, du wunderbare, ersehnte Nacht!”

9.Dezember: EINTAUCHEN IN DIE STILLE- Carl Bohm, Still wie die Nacht

Ich mag es, wenn es ganz ruhig ist. Wenn sich der Lärm des Tages legt. Dann lege ich mich hin, ganz flach. Dann kann ich fühlen, wie es still wird. Das war nicht immer so, das musste ich lernen - und ich habe es lieben gelernt.
Wenn ich so daliege, mache ich nichts außer wirklich zuzuhören und meinem Körper, meinem Geist Aufmerksamkeit zu schenken. Wo fließt es, wo halte ich fest eventuell fest? Tiefer und tiefer reicht meine Sensibilität, bis in die feinsten Regionen. Und dann verweile ich im Idealfall, bis alles fließt - das ist manchmal gar nicht so einfach. Aber je ruhiger ich werde, desto offener wird der Geist und desto feiner reagieren meine Sensoren. Und dann - ganz plötzlich - steht für einen ganz kurzen Augenblick alles still. Manchmal fühlt sich das an, also würde man mir eine Kapuze vom Kopf ziehen. Ich fühle mich befreiet und beginne intensiv zu regenerieren. Meistens endet das mit einem schönen, tiefen Seufzer, bevor ich mich dann zur Seite drehe und einschlafe.

Das ist übrigens auf der Bühne ganz ähnlich: Immer dann, wenn es mir - selbst nur für einen kleinen Mini-Augenblick - gelingt, vor dem Auftritt oder selbst noch unmittelbar vor dem eigentlichen Gesangseimsatz innezuhalten und diesen immer besonderen Moment bewusst wahrzunehmen, gibt mir das wie von Zauberhand eine große schöpferische und zugleich tief beruhigende Stärke und die Frische, die ich in solchen Momenten dringend benötige. In der Musik ist es ganz ähnlich.
Alles kommt aus der Stille und geht in die Stille zurück, jeder Ton, jede Pause, jede Phrase. Und zu den wunderbarsten Dingen, die wir Musiker:innen auf der Bühne erleben können gehört die Stille nach einem berührenden Stück, bevor der Applaus einsetzt.
Zu diesen sehr persönlichen Gedanken und Erfahrungen könnte unser heutiges Lied nicht besser passen. Eine gleichsam emotionale wie starke Liebeserklärung, welche die Stille und deren unetschütterliche Kraft in den Mittelpunkt stellt. "Still wie die Nacht, tief wie das Meer soll deine Liebe sein".

8.Dezember: “Jogo bonito" - Championsleague-Hymne & Zadok the Priest

Achtung Spoiler: Alle nicht fußballinteressierten Menschen müssen heute ganz stark sein und ich bitte sie höflich ein wenig Nachsicht, denn meine Begeisterung für "jogo bonito", das schöne Spiel, ist nun einmal fast so groß wie jene für die Musik.

Heute ist ja bekanntlicher Weise ein Feiertag. Ob es auch für mich einen Grund zum Feiern geben wird, wissen wir um zirka 23 Uhr. Zum ersten Mal in der österreichischen Fußballgeschichte kann ein heimischer Verein das Achtelfinale der Uefa Championsleague erreichen - und das mit der jüngsten Mannschaft aller Zeiten. Es reicht ein einziger Punkt, aber dieses Unterfangen wird gegen den spanischen Topclub FC Sevilla schwierig genug.

Was aber hat dies mit meinem musikalischen Adventkalender zu tun? Nun, eröffnet wird der Abend bei Championsleaguespielen traditionell mit einer einer Hymne, einer Ouvertüre. Dieses Stück soll in den europäischen Stadien die Begeisterung entfachen und zugleich die Bedeutung des Wettbewerbs untermauern. Musik ist Emotion. Und Musik schafft es, Emotionen zu wecken, zu kreieren.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, was das Erklingen der Championsleague-Hymne im Stadion beim Publikum und sicher auch bei den Hauptdarstellern am Spielfeld bewirken kann, die Inszenierung und Choreographie lassen den berühmten Funken dann noch intensiver überspringen. In Salzburg wird dazu selbst Mozarts Antlitz wird aufgezogen, um die stolzen "Jungs aus der Mozartstadt" zu unterstützen. Gänsehaut pur!

Ein besonders schönes Videodokument dieser Championsleague-Hymne entstammt einer Aufführung im großen Festspielhaus, wo das Stück anlässlich der ersten Wettbewerbsteilnahme des FC Salzburg 2019/2020 mit in ein klassisches Konzerprogramm genommen wurde. In dem Moment, als die Musik ihren Höhepunkt erreicht, gibt es zur Freude des Publikums einen Überraschungsauftritt: Die Mannschaft des FC Salzburg betrifft unter großem Applaus die Bühne. Darunter übrigens - unübersehbar- der zu diesem Zeitpunkt nur den Insidern bekannte 19jährige Erling Haaland. Ein paar Tage später sollte der Stern des heutigen Weltstars nach drei erzielten Toren beim Königsklassen-Debüt zum ersten Mal so richtig hell am internationalen Fußballhimmel erstrahlen. Made in Salzburg eben.

Ein aus meiner Sicht lustiges Detail ist mir aufgefallen: Am etwas unbeholfenen Gang der Akteure kann man auch erkennen, dass es selbst für die großen Sportstars nicht so einfach ist, eine solch ehrwürdige Bühne zu betreten. Wenige Tage später fiel es ihnen dann wahrscheinlich viel leichter, als sie die selbe Melodie in ihrem "Wohnzimmer" hören durften, diesmal in Arbeitskleidung am Rasen der Bullen-Arena und begleitet von einer wunderbaren Fan-Choreografie.

In dem Moment befand ich mich übrigens leider noch im Taxi vom Hauptbahnhof Salzburg zum Stadion und bin erst während des ersten Tojubels die Stadionstiegen raufgerannt. Eine - bereits im Salzburg-Trikot absolvierte - Midsummernight’s Dream-Probe an der Wiener Staatsoper hatte es mir nicht erlaubt, früher aus Wien loszufahren. Zum Glück durfte ich an diesem denkwürdigen Abend noch fünf weitere Treffer meiner Salzburger bejubeln, Genk wurde mit einem sensationellen 6:2 nach Hause geschickt.


Für alle nicht-fußballaffinen Menschen gibt es zur Versöhnung noch ein interessantes musikalisches Detail: Die Hymne basiert auf Georg Friedrich Händels wundervoller Krönungshymne "Zadok the Priest" und war schon in der musikalisch und textlich noch um ein Vielfaches beeindruckenderen Originalversion geschaffen, um große Emotionen hervorzurufen.

Auf geht's, Salzburg!!

7.Dezember: SCHUBERT, WEIN UND LAMMBRATEN- Franz Schubert - Des Tages Weihe

Auf Einladung durfte ich 2009 als Stipendiat eine Woche an der Nordsee verbringen. "Lied in Husum" sollte den ausgewählten Teilnehmer:innen, Pianist:innen und Sänger:innen aus ganz Europa das Kunstlied näherbringen und am letzten Tag in einem Wettbewerb - dem norddeutschen Liedpreis - münden. In der Jury saß unter anderem die legendäre Sopranistin Hilde Zadek, damals schon über 90 Jahre alt.
Wer Husum kennt, weiß wie schön es dort, ganz im hohen Norden Deutschlands, sein kann. Für dieses Abenteuer wurde ich mit einem sehr guten polnischen Pianisten zusammengespannt, wir haben die mehr als tausend Kilometer Autofahrt genützt um einander kennenzulernen. Gewohnt haben wir bei einer sehr lieben und kunstaffinen Gastfamilie, der Gedanke an die vom Hausherren köstlich zubereiteten Nordseekrabben lässt mir bis heute das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Von den wenigen Coachings abgesehen hatten wir relativ viel Zeit zum Üben und zur Wettbewerbsvorbereitung. In Husum sagen sich der Schweinswal und die Robben "Gute Nacht", als junger Mensch konnte man dort nicht viel unternehmen - ideal fürs intensive Studium, haben sich wahrscheinlich auch die Organisatoren gedacht. Wäre da nicht dieses kleine, feine Literaturcafé mitten in der Kleinstadt gewesen, in welchem wir ob des köstlichen Kaffees und der feinen Bäckereien unsere freien Nachmittage verbrachten. Irgendwann kam raus - wahrscheinlich hat einer der Tenorkollegen mit dem Singen angefangen - dass wir die Sänger:innen und Musiker:innen des norddeutschen Liedpreises sind. Im Café stand ein Pianino, wir waren ganz unter uns und jeder gab ein kleines Ständchen - eine willkommene Generalprobe für den Wettbewerb. Unser Vortrag hat die Inhaberin des Cafés so beeindruckt, dass sie die gesamte Runde zu Wein und Lammbraten eingeladen hat und dafür sogar ihr Café schließen wollte. Es gab nur ein kleines Terminproblem: die Einladung erfolgte am Donnerstag Abend, am Samstag war der Wettbewerb und dann am Sonntag gingen alle wieder getrennte Wege. Es blieb also nur der Freitag übrig.
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen zu diesem Festmahl, das sich mehr und mehr in ein feucht-fröhliches Fest verwandelte.
Keiner der Anwesenden hatte in dem Moment an den für den nächsten Tag angesetzten Wettbewerb gedacht. Im Normalfall hätten sicher alle schweigend mit Kamillentee und Noten im stillen Kämmerlein gesessen und wären das Programm nochmal zur Sicherheit hundert Mal im Geiste durchgegangen. Hatte ich keiner der Anwesenden gesagt? Naja, Moment: Gerade als es begann, lauter und lustiger zu werden, verabschiedete sich ein Bariton (natürlich nicht ich), mit dem verräterischen Argument, sich für morgen fit halten zu wollen. Das muss vielleicht um 23 Uhr gewesen sein. Als ich das nächste Mal - um 3:30 - auf die Uhr sah, bot sich mir folgendes Bild:
Drei bis vier Pianisten spielten gleichzeitig auf dem Miniklavier und die gesamte Sängerschar stand auf den Sesseln, voller Inbrunst und Pathos Schuberts "Leise flehen meine Lieder" singend - ähh brüllend. Was für eine herrliche Sause - ein Fest, das einer Schubertiade gerecht würde. Der Franz hätte seine große Freude mit uns allen gehabt. Ich weiß nicht mehr, wann ich ins Bett gekrochen bin, es war jedenfalls schon taghell.
Und ich kann mich noch so gut an die wunderbar verdutzten Augen der Dozenten erinnern, als wir gemeinsam am Samstagmorgen um 11 die Generalprobe absolviert hatten und die ersten Krächzer im Saal verklungen waren. Es war einfach so schön, wie in der Nacht davor der Ehrgeiz von der Gemeinschaft und Musik besiegt worden war.
An dieser Stelle sollte ich vielleicht noch anmerken, dass ich musikalische Wettbewerbe ablehne, da sie jedem Geist des Musizierens widersprechen. Apropos Wettbewerb:
Gewonnen hat übrigens jener werte Kollege, der als erster den Heimweg angetreten hat.
Aber ein besonders nettes Detail dieser persönlichen Geschichte fehlt noch. Wenige Augenblicke vor dem eigentlichen Wettbewerb hörte ich - im Einsingzimmer meine Stimme suchend - einen Pianisten im Nebenraum den Erlkönig üben. Spontan habe ich die Tür geöffnet und mitgesungen. Wir haben das Lied gemeinsam fertig musiziert ohne ein Wort zu sagen.
Der Name des Pianisten: Sascha El Mouissi. Sascha hat übrigens dann ein paar Stunden später den Nordeutschen Liedpreis und - besonders verdient - den Preis für den besten Begleiter gewonnen.
Er hatte damals wohl den richtigen Sänger zugeteilt bekommen. Und ich hab vor allem eines gelernt: Man darf bei Professionalität nicht auf das Leben vergessen und freue mich “dankerfülltem Herz” bis heute, so einen schönen Abend erlebt zu haben.
2014 brauchte ich ganz dringend einen Einspringer für ein Konzert und rief spontan den mittlerweile in Wien studierenden Sascha an. Der Rest ist unsere persönliche Musikgeschichte und der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

6.Dezember: DIE STIEFEL VOM NIKOLAUS - Johanna Dumfart, Nikolo bum bum

Der Vorabend zum heutigen Nikolausfest war in meiner Familie immer ein ganz besonderer Höhepunkt unseres gemeinsamen Jahres. Mein Papa, über den ich ja schon im vierten Türchen erzählt habe, schlüpfte nämlich genau an diesem Abend traditionell ins Nikolauskostüm, um vielen Kindern im Ort eine Freude zu bereiten. Geschminkt wurde er für seinen großen Auftritt vom örtlichen Friseurmeister, der an diesem Abend immer seiner heimlichen Leidenschaft als (ausgebildeter) Maskenbildner nachgehen konnte. Mit einem großen Sinn für Theatralik hat er meinem Papa eine blaurote Nase verpasst, und auch das restliche Gesicht sollte - vom meilenlangen, beschwerlichen Weg in der Lungauer Eiseskälte gezeichnet wirken und wurde dementsprechend dramatisch gestaltet. In der Folge sah mein Papa manchmal aus, als hätte er mit Müh und Not zwölf Runden eines fordernden Boxkampfs überstanden. Aber er tat sein Bestes, diese Spuren mit dem rauschenden weißen Bart zu überdecken und verlieh dem Bischof Nikolaus neben der nötigen Haltung und eine getragene, tiefe Stimme. Dazu kam der schwere, goldene Stab, den wir Kinder abwechselnd - und selbstverständlich mit stolz geschwellter Brust - halten durften. Von seiner Chauffeuse wurde Papa Nikolaus von Haus zu Haus gebracht, wo er nach liebevoll gespieltem, gestrengem Verlesen der guten und schlechten Taten einen Jutesack voll mit Köstlichkeiten verschenkt hat. Gefüllt mit Erdnüssen, Mandarinen, Bockshörndl, Feigen und natürlich Schokolade. Wenn wir ganz brav waren, hat sich, zu meiner sehr großen Freude, im Sackerl auch das eine oder andere Asterix-Heft finden lassen.
Wenn der Nikolaus kam, wurde zunächst feierlich im Vorzimmer Aufstellung genommen und jeder von uns durfte - beziehungsweise musste - für den lieben Nikolaus einen kleinen Vortrag machen. Meine Geschwistern und ich haben gesungen, Gedichte vorgetragen und selbstverständlich auch mit unseren Instrumenten vorgespielt. Eines meiner zu diesem besonderen Anlass zu Gehöre gebrachten Lieder ging so: "Heiliger Nikolaus, Du braver Må, I sing da a Liadl, so guat wia I kå."

Was ich als Kind immer besonders schade gefunden hatte und überhaupt nicht verstehen konnte: Dass mein lieber Papa ausgerechnet immer genau am Nikolausabend eine unverschiebbare Musikprobe mit seiner Trachtenmusikkapelle Unternberg hatte. So konnten wir ihm leider immer erst am nächsten Tag ganz aufgeregt vom Bischofsbesuch erzählen. Einmal wäre ich ihm allerdings fast auf die Spur gekommen: Als Dorfnikolaus besuchte er selbstverständlich auch den Kindergarten und ich kann mich noch genau erinnern, wie der kleine Rafael am 6.Dezember ganz aufgeregt heimgekommen ist: “Mama, Papa, stellts euch vor, der Nikolaus hat die gleichen Stiefel wie der Papa!”

5.Dezember: IMMER WIEDER MOZART - Making of "Mozart made in Salzburg"

“Wenn ich ein Problem habe und dann Mozart höre, denke ich mir oft: Es ist alles halb so schlimm. Vielleicht - oder hoffentlich - ergeht es Ihnen ja ähnlich!” (Booklet Mozart made in Salzburg)

Wolfgang Amadeus Mozart verstarb am 5. Dezember 1791, also heute vor 230 Jahren mit nur 35 Jahren in seiner Wohnung in der Rauhensteingasse 8 in Wien.

Für den heutigen zweiten Adventsonntag habe ich mir ein besonderes Zuckerl überlegt: Zum ersten Mal und exklusiv zeige ich einen Blick hinter die Kulissen unserer Mozart-Aufnahme, ein “Making-of”, dass bei einer Aufnahmesitzung im Orchesterhaus des Mozarteumorchesters Salzburg entstanden ist und uns bei der Arbeit an unserem Herzensprojekt zeigt. Über die CD selbst habe ich ja - in Interviews, auf diversen Kanälen, auf der Homepage und vor allem in einem sehr umfassend und liebevoll gestalteten Booklet gesprochen. Eine Sache kommt mir dennoch immer und immer wieder in den Sinn: Es macht mich auch mit ein wenig Abstand unaussprechlich dankbar, dass ich diese Herzensprojekt mit so wunderbaren Partnern wie dem menschlich-künstlerisch legendären Leopold Hager und dem fantastischen Mozarteumorchester umsetzen durfte. Das ist alles andere als selbstverständlich: Vor gar nicht allzu langer Zeit war diese nun vorliegende Aufnahme nämlich noch ein sehr weit entfernt scheinender Traum, der zum Glück zu einem - wie ich finde - mutigen Entschluss gereift ist. Gefasst inmitten der Pandemie, in einer Zeit, die eher durch ihre teils zermürbende Perspektivenlosigkeit als durch kreative Schaffensprozesse geprägt war. Nach vier Soloalben mit Klavier sollte es natürlich irgendwann auch ein Arienalbum mit Orchester sein - als persönliche Herausforderung sowie Dokumentation einer künstlerischen Schaffensperiode und der großen Liebe zur Oper. Gerade in dieser für uns alle so speziellen Zeit, die  ich- vielen Widrigkeiten zum Trotz - tagtäglich unter den Stern der Weiterentwicklung gestellt habe, wurde dieser langersehnte Wunsch nun Realität und diese Arbeits- und Entwicklungsphase dokumentiert. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so viel an mir selbst gearbeitet habe. Als Sänger, als Künstler, als Mensch, stets liebevoll unterstützt von meinen allerengsten Vertrauten. Wenn man als Bühnenmensch plötzlich keine Möglichkeit hat, das täglich Erarbeitete und Gelernte umzusetzen und damit in den musikalischen Dialog mit dem Publikum zu gehen, dann bleibt einem nur selbst kreativ zu werden und sich täglich neu zu erfinden. Immer und immer wieder, manchmal fast bis zur Erschöpfung. 

 Erlaubt mir bitte, am Ende doch noch einmal einen Absatz aus dem Booklet zu zitieren, auch weil mein “kleiner Wunsch” fast täglich an Aktualität gewinnt und sich mittlerweile zu einem sehr großen Anliegen entwickelt hat. Darum möchte ich ihn an dieser Stelle noch einmal in die Welt hinaussenden und ihn noch mit ein paar zusätzlichen Begriffen versehen: Hoffentlich schaffen wir es - gerade in der Kunst - die in der Krise wiederentdeckten Qualitäten wie Demut, Aufmerksamkeit und ein sensibles Miteinander mehr in unseren Fokus zu rücken. Weniger Show und falsche Perfektion, mehr Authentizität und ehrliches, qualitativ hochwertiges Handwerk. Vielleicht gelingt auch, genauer hinzuhören und so wieder mehr von den leisen Tönen und echten Emotionen wahrzunehmen, auf der Bühne, auf Einspielungen, im Publikum und unserem privaten Umfeld. Das ist mein großer Wunsch. Möglich wird das nur, wenn sich alle beteiligten Künstler in den Dienst der Sache stellen - und das mit intensiv spürbarem, tiefem Respekt voreinander und vor der Musik. So soll, so muss es sein.  

Sensibiliät, Empathie, Achtsamkeit, Die Schwächeren schützen, aufeinander aufpassen, einander helfen. Mensch sein! Bitte! Bitte jetzt!