Warum tue ich mir das an? Das denke ich mir meistens dann, wenn der Druck wieder einmal fast unmenschlich hoch wird, links und rechts die Ellenbogen ausgefahren werden oder selbst der kleinste, natürlichste Fehler in der Zeitung besprochen wird. Einen "normalen" Beruf wünsche ich mir dann kurz. Aber, Moment, was ist denn überhaupt ein normaler Beruf? Bin ich denn überhaupt “normal”? Will ich das sein?
In jedem Feld gibt es Herausforderungen, die einem in manchen Momenten unüberwindbar erscheinen - Zeiten, in denen jede Handlung leicht von der Hand geht (“Wånns lauft, dann laufts") und dann jene Tage, wo einfach überhaupt nichts funktionieren will. Beim Singen ist es ja so, dass der eigene Körper das Instrument ist und schon aus ganz natürlichen Gründen einer biodynamischen Kurve unterliegt. Es kommt vor, dass man aufwacht und von der ersten Sekunde an spürt, dass heute alles nahezu perfekt funktionieren wird - an solch seltenen Tagen hat man dann meistens kein Konzert. Leider gilt das selbstverständlich auch umgekehrt, und die daraus resultierenden K(r)ampfabende rettet und “überlebt” man dann mit besonders hohem Energieaufwand und einer hoffentlich guten Technik.
Im Sommer 2021 war ich mental müde, habe in der Folge an einem Steg am Millstättersee meinen bisherigen Weg ganz ehrlich reflektiert und dabei etwas weniger optimistisch als sonst in die Zukunft geblickt.
Nach einer Weile saß ich da, schaute aufs Wasser und mit einem Mal überkamen mich eine tief empfundene Dankbarkeit und Demut. Es ist mir - wieder einmal - siedend heiß bewusst geworden, was in den letzten Jahren alles gelungen ist, welch einen privilegierten Weg ich beschreiten darf und dass meine persönliche Geschichte alles andere als selbstverständlich ist.
Es ist mir darin nie um einen Ort oder einen Karriere-Erfolg, sondern immer um das Singen und Musizieren selbst gegangen. Mein großes Ziel für die kommenden Jahre ist, dass ich mir diese Einstellung zu meinem Beruf bewahren kann. Apropos: von einem Beruf kann man in meinem Fall gar nicht sprechen, eher von einer Berufung. Wann immer ich singe, ist es, als könnte ein Teil von mir fliegen, von Herz zu Herz. Es fühlt sich fast immer an wie eine gesunde Befreiung, die einmal mehr und einmal weniger gelingt.
Schließlich dann wäre noch diese unglaubliche Musik. Gerade vor ein paar Wochen sitze ich im Saal in Brüssel, als die Brussels Philharmonics unter der Leitung des begnadeten Musikers und wunderbaren Menschen Andreas Spering - ohne Chor, ohne Solisten - einzelne Stellen des Fauré Requiems probieren.
Andreas dreht sich ein paar Mal zu mir um und grinst breit. Wir müssen es gar nicht aussprechen, in unseren Augen kann man ablesen, dass wir in dem Moment genau das Gleiche denken.
”Für so etwas Schönes bekommen wir auch noch Geld? - eigentlich müssten wir ja dafür bezahlen, diese himmlischen Klänge hier erleben zu dürfen.”