Der Vorabend zum heutigen Nikolausfest war in meiner Familie immer ein ganz besonderer Höhepunkt unseres gemeinsamen Jahres. Mein Papa, über den ich ja schon im vierten Türchen erzählt habe, schlüpfte nämlich genau an diesem Abend traditionell ins Nikolauskostüm, um vielen Kindern im Ort eine Freude zu bereiten. Geschminkt wurde er für seinen großen Auftritt vom örtlichen Friseurmeister, der an diesem Abend immer seiner heimlichen Leidenschaft als (ausgebildeter) Maskenbildner nachgehen konnte. Mit einem großen Sinn für Theatralik hat er meinem Papa eine blaurote Nase verpasst, und auch das restliche Gesicht sollte - vom meilenlangen, beschwerlichen Weg in der Lungauer Eiseskälte gezeichnet wirken und wurde dementsprechend dramatisch gestaltet. In der Folge sah mein Papa manchmal aus, als hätte er mit Müh und Not zwölf Runden eines fordernden Boxkampfs überstanden. Aber er tat sein Bestes, diese Spuren mit dem rauschenden weißen Bart zu überdecken und verlieh dem Bischof Nikolaus neben der nötigen Haltung und eine getragene, tiefe Stimme. Dazu kam der schwere, goldene Stab, den wir Kinder abwechselnd - und selbstverständlich mit stolz geschwellter Brust - halten durften. Von seiner Chauffeuse wurde Papa Nikolaus von Haus zu Haus gebracht, wo er nach liebevoll gespieltem, gestrengem Verlesen der guten und schlechten Taten einen Jutesack voll mit Köstlichkeiten verschenkt hat. Gefüllt mit Erdnüssen, Mandarinen, Bockshörndl, Feigen und natürlich Schokolade. Wenn wir ganz brav waren, hat sich, zu meiner sehr großen Freude, im Sackerl auch das eine oder andere Asterix-Heft finden lassen.
Wenn der Nikolaus kam, wurde zunächst feierlich im Vorzimmer Aufstellung genommen und jeder von uns durfte - beziehungsweise musste - für den lieben Nikolaus einen kleinen Vortrag machen. Meine Geschwistern und ich haben gesungen, Gedichte vorgetragen und selbstverständlich auch mit unseren Instrumenten vorgespielt. Eines meiner zu diesem besonderen Anlass zu Gehöre gebrachten Lieder ging so: "Heiliger Nikolaus, Du braver Må, I sing da a Liadl, so guat wia I kå."
Was ich als Kind immer besonders schade gefunden hatte und überhaupt nicht verstehen konnte: Dass mein lieber Papa ausgerechnet immer genau am Nikolausabend eine unverschiebbare Musikprobe mit seiner Trachtenmusikkapelle Unternberg hatte. So konnten wir ihm leider immer erst am nächsten Tag ganz aufgeregt vom Bischofsbesuch erzählen. Einmal wäre ich ihm allerdings fast auf die Spur gekommen: Als Dorfnikolaus besuchte er selbstverständlich auch den Kindergarten und ich kann mich noch genau erinnern, wie der kleine Rafael am 6.Dezember ganz aufgeregt heimgekommen ist: “Mama, Papa, stellts euch vor, der Nikolaus hat die gleichen Stiefel wie der Papa!”