Liebe Freunde,
Wie ich Euch schon einmal erzählt habe, gibt es leider nur zwei existierende Ton-Dokumente unserer FAMILIENMUSIK FINGERLOS in ihrer aktuellen Besetzung (Diatonische Ziehharmonika, Hackbrett, Gitarre, Kontrabass). Eines davon, den LEA WALZER, haben wir beim Öffnen des ersten Türchens kennengelernt, das zweite möchte ich euch gerne heute im Türchen mit der Nummer dreizehn vorstellen. Untermalt wird der PFEIFENZEUG BOARISCHE, neben dem Lea Walzer so etwas wie unsere Kennmelodie, wieder mit wunderschönen Video-Impressionen aus dem LUNGAU. Ursprünglich für Geigenbesetzung von der in Volksmusikkreisen legendären Kiesenhofer-Geigenmusi komponiert, haben wir diese Stück vor Jahren für uns entdeckt, lieben gelernt und in unserer eigenen, leicht variierten Fassung immer wieder - besonders gerne auch beim Adventsingen - musiziert. Vor allem hat es mir seit jeher das Trio angetan: Die sich so schöne in dreistimmigen Akkorden aufbauende Melodie berührt mich bei jedem Anhören. In meinem Ohr höre ich die Ziach mit diesen Klängen die wunderbare Akustik der Basilika Mariapfarr ausfüllen.
Das freie Spielen mit Klang und Akustik und das Entwickeln einer Phrase, wie ich es mit diesem und ähnlichen Stücken auf der Ziehharmonika lernen durfte, war maßgeblich für meine musikalische Entwicklung und hilft mir noch heute. Die VOLKSMUSIK war immer und ist mein sicherer und geschützter Hafen, an dem ich immer ganz ungezwungen zurück zum Kern meines Musizierens finde. Insbesondere während des ersten Lockdowns und den damit verbundenen Belastungen konnte ich aus diesen Klängen viel Kraft und neue Motivation schöpfen. Als ich den Pfeifenzeug Boarischen heute nach längerer Zeit wieder einmal angehört hab, ist mir aufgefallen, wie knackig wir die Nachschläge spielen. Schön, wie das groovt und unser blindes einander Verstehen abbildet: So überträgt sich außerdem die unaussprechlich große Freude, die meine Geschwister, mein Papa und ich beim gemeinsamen Musikmachen empfinden dürfen. Je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst, welch ein außergewöhnlich großes Geschenk das ist.
Jetzt habe ich euch fast meine ganze Familie vorgestellt - ja, fast: Ein ganz besonderer Mensch fehlt noch in dieser Runde: meine liebe MAMA. Von ihr durfte ich die Freude am Schreiben und Lesen lernen, die ich mit diesem Adventkalender wiederentdeckt habe. Deshalb ist es mir auch sehr wichtig, sie mit einer ihrer wunderbaren, selbstgeschriebenen Geschichten vorzustellen. Eine solche Kombination aus unserer Musik und Ihren Werken hätte man übrigens auch bis vor einigen Jahren bei einem Adventsingen in meiner Heimat erleben können.
Einen passenderen Text könnte es für dieses Kalendertürchen es am heutigen, dritten Adventsonntag also gar nicht geben – es berührt mich immer wieder aufs Neue, wie schön unsere Mama, BIRGIT FINGERLOS, diese Begebenheit in ihren Worten erzählt:
ADVENT
Es war ein nasskalter Dezemberabend in Wien. Die Sonne hatte sich bereits zurückgezogen, die Straßen waren erhellt vom Licht der Straßenlaternen, von den Scheinwerfern der fahrenden Autos und nicht zuletzt von der Weihnachtsbeleuchtung, die alle, die unterwegs waren, wohl daran erinnern sollte, nicht auf die Weihnachtseinkäufe zu vergessen. Ein eisiger Wind blies, - und der Schneeregen tat sein Übriges. Wer noch unterwegs war, versuchte so schnell wie möglich an sein Ziel, am besten nach Hause zu kommen. Zwei junge Männer gingen raschen Schrittes der U-Bahnstation zu, den Mantelkragen hochgeschlagen, beide hatten den Kopf gesenkt, um möglichst wenig von der ungemütlichen Witterung abzubekommen. Sie unterhielten sich angeregt. Die U-Bahnstation war erreicht, sie schüttelten sich kurz, und schon brachte sie eine Rolltreppe eine Etage tiefer. Sie setzten ihren Weg fort und kamen an einem Musiker vorbei, der auf seiner Querflöte für die Vorbeieilenden eine Melodie aus der Zauberflöte blies. Die meisten, die da unterwegs waren, bemerkten ihn kaum, sie waren in ihre eigenen Gedanken versunken oder hörten über die Stöpsel in den Ohren ihr eigenes Musikprogramm.
Der Mann mit der Querflöte trug einen abgewetzten Mantel, sein Gesicht war gezeichnet von einem Leben, das so ganz anders verlaufen war, als er es erhofft oder erträumt hatte. Er zählte wohl zu den gestrandeten Menschen in der Stadt, vielleicht war er auch obdachlos. Vor ihm lag sein Instrumentenkoffer mit einigen wenigen Münzen darin. Die beiden jungen Männer waren schon vorbeigegangen, da blieb der eine abrupt stehen und zupfte seinen Kollegen am Ärmel. „Du, so eilig haben wir’s eigentlich gar nicht, oder? Wart ein bisschen.“ Er ging die paar Schritte zurück und blieb vor dem Musiker stehen. „Das war aus der Zauberflöte. Spiel das noch einmal!“ forderte er den Flötisten auf. Dieser schaute ihn erstaunt an und nickte dann: „Von mir aus, mach ich.“ „Gut, ich stelle mich jetzt neben dich und singe mit. Weißt, ich bin Sänger.“
Der am Boden Sitzende wusste offensichtlich nicht recht, was er von dieser Ankündigung halten sollte, aber er begann zu spielen – und der junge Mann setzte mit seiner kräftigen Stimme ein. Er schmetterte die Melodie in den Raum, die Vorbeihastenden drehten ihre Köpfe zu dem ungleichen Paar, viele verlangsamten ihren Schritt, einige kamen näher, blieben stehen und hörten zu. Die Augen des Flötisten begannen zu leuchten wie schon lange nicht mehr. Es schien ihm nicht klar zu sein, ob er wach war oder das alles nur träumte. Viele der Zuhörenden zogen ihre Geldtaschen und warfen ein paar Münzen in den Instrumentenkoffer.
Als der letzte Ton verklungen war, tönte Applaus durch die U-Bahn-Passage. Der junge Sänger schüttelte dem Musiker die Hand: „Danke für die Begleitung – und frohe Weihnachten!“ Dann drehte er sich wieder seinem Freund zu und die beiden verschwanden in der Menge.
Der Mann, der am Boden saß, schüttelte den Kopf. Er lachte über das ganze Gesicht und es schien, als überlege er sich, ob es nicht höchst an der Zeit wäre, wieder an das Christkind zu glauben …