14.Dezember: "Von der Wut und ihrer Auflösung" - ICH HAB' EIN GLÜHEND MESSER & DES LAUTEN TAGES WIRRE KLÄNGE SCHWEIGEN

Liebe Freunde,

Dieses Mal habe ich sehr lange überlegt, ob ich den heutigen Beitrag überhaupt in den Adventskalender aufnehmen soll. Als ich dann die Entscheidung getroffen hab, auch diese Seite zu zeigen, haben sich mir andere Fragen aufgedrängt: Können Wut und Enttäuschung Teil eines Adventskalenders sein und - viel wichtiger - wie kann man solche negativen Gefühle bewältigen und auflösen?  Soll ich auch darüber schreiben?

Wie schon oft kommuniziert ist dieses Herzensprojekt ja auch eine Art persönlicher Jahresrückblick, der nun viel mehr Menschen erreicht, als ich es mir je erhofft hatte. Als solcher gehört das erste Video, der wütende Mahler „ICH HAB EIN GLÜHEND MESSER“ schon aus Gründen der Vollständigkeit in die Sammlung: Mein Auftritt Ende Februar mit  „Lieder eines fahrenden Gesellen“(übrigens auch eines meiner Lieblingswerke) im Elizabethsaal in Antwerpen (aus dem die heutige Liveaufnahme stammt) war mein letzter und dann sogar einziger stattfindender Auftritt in einem sinfonischen Konzert in diesem Jahr. Omer Meir Wellber hat das Niederlande Radiofilharmonisch Orkest dirigiert, ich bin innerhalb von 24 Stunden für einen erkrankten Kollegen eingesprungen:  Am Montag war Bühnenprobe an der Staatsoper, am Dienstagnachmittag kam der Anruf, am Mittwoch Früh saß ich schon im Flieger nach Amsterdam, wo wir dann am Abend einmal geprobt haben. Auch das war einmal meine „Normalität“ - die Anführungszeichen haben im Laufe des Jahres noch einmal eine völlig neue Bedeutung bekommen. Trotzdem waren es rückblickend zwei wunderschöne Konzerte, für die ich im Nachhinein sehr, sehr dankbar bin. 

Der Konzertbereich ist - neben der OPER und dem LIED die dritte Säule, auf der meine Berufung als Sänger aufbaut. Alle anderen Konzerttermine, zuletzt leider auch ein Konzert mit Orchesterliedern am 18.Dezember in Klagenfurt - wurden abgesagt. Ich habe immer versucht zu verstehen, dass wir mit den Maßnahmen viele Menschenleben retten können und auch selbst alles in meiner Macht Stehende zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz meiner Mitmenschen getan. Sehr oft war das aber eben auch mit persönlichen Enttäuschungen verbunden, monatelange Arbeit, Proben und Planungen wurden immer und immer wieder zunichte gemacht. Auch ich musste für mich selbst einen Weg finden, mit der Situation umzugehen. 
Vielleicht ist es mir auch gerade deshalb so wichtig, darüber zu schreiben, weil ich manchmal das Gefühl habe, dass es gesellschaftlich gar nicht so akzeptiert ist, wenn es uns einmal nicht so gut geht. Gerade in einem Jahr, wo jede einzelne Person ähnliche Momente erlebt hat, finde ich es besonders wichtig, darüber offen zu sprechen. 
Es mag jetzt keine große Überraschung sein, dass es eben die Musik war, die mir Halt gegeben hat, aber auch wie ein Ventil für die manchmal aufkommenden negativen Gefühle war. Wenn man mit vollem Körpereinsatz singt, kann das einen kartharsischen Effekt haben - und in manchen Situationen muss es dann auch einmal etwas Größeres, Lauteres sein.  An den eher finsteren Tagen hab ich gesungen, aus voller Brust und mit voller Hingabe. Gustav Mahler hat das in seinen Kompositionen ganz ähnlich gehalten. Er hat seine Emotionen - egal welcher Natur - wie kein anderer mit unglaublicher Authenzitität in Noten verwandeln können. 

Da dies aber ein Adventskalender ist, der den Herzen GUTES tun soll, habe ich nach einem Weg gesucht die wirren Klänge aufzulösen, oder wie es PETER CORNELIUS in seinem Lied so schön ausdrückt - dieselben schweigen zu lassen. Cornelius ist für mich eines der verkanntesten Genies der romantischen, deutschen Musik. Seine Lieder haben etwas unmittelbar Berührendes, Kraftvolles und zugleich Beruhigendes. Darum gibt es heute - zum zweiten Mal - ein weiteres Video, mit meinem Freund Sascha am Klavier: „DES LAUTEN TAGES WIRRE KLÄNGE SCHWEIGEN, UND ALL DER LÄRM UND DRANG VERSCHALLT, VERHALLT“. Die Aufnahme ist übrigens das Originaldemo, das wir damals zusammen mit der schon besprochenen Schubertaufnahme an mein erstes Label geschickt haben, und es kommt gar nicht oft vor, dass Einspielungen für einen selbstkritischen Geist wie mich nach ein paar Jahren noch Gültigkeit haben.  

Ich wünsche Euch allen ,dass Ihr immer einen positiven Weg findet, mit negativen Erfahrungen umzugehen und stets Menschen um Euch habt, die Euch Halt geben, Euch auffangen und zeigen, dass die Kurve - schon von Natur aus - nach der Talsohle wieder nach oben zeigt. Und nicht zuletzt deshalb bin ich gerade im Advent sehr zuversichtlich, dass wir uns auf die kommende Zeit aus tiefstem Herzen freuen können.