In den vergangenen Jahren waren die unmittelbar letzten Tage vor Weihnachten immer weit von einer einkehrenden Besinnlichkeit entfernt. Der Dezember war ein normalerweise ein reicher Konzertmonat und unmittelbar vor Weihnachten wurde an der Wiener Staatsoper traditionell die Zauberflöte gespielt, gefolgt von der ebenso traditionsreichen Neujahrs-Fledermaus zum Jahreswechsel. Als Konzertsolist, Papageno und Dr. Falke war ich also im Höchsteinsatz, immer nahe am Limit meiner Kräfte und ob der Wichtigkeit der Partien auch ständig unter Druck. Nicht zuletzt deshalb konnte ich das Weihnachtsfest höchstens punktuell - am 24. und 25. Dezember - feiern und genießen. Selbst an diesen beiden Tagen war es mir dann oft nicht möglich, den Kopf für einen Moment komplett auszuschalten. Mein Umfeld und meine Familie hat das immer mitgetragen und mir geholfen, die hohen Feiertage trotzdem so schön wie möglich zu gestalten.
Heuer ist das anders. Heuer ist alles anders.
Die Zeit scheint still zu stehen, viel vom sonst so präsenten Lärm ist, wie von einem noise-cancelling Kopfhörer weggeschaltet, verschwunden. Die plötzlich so präsente Ruhe hat zwangsweise dazu geführt, dass ich mich in den letzten Wochen und Monaten sehr viel mit mir selbst beschäftigten musste, aber auch endlich wieder einmal das Lernen und meine Weiterentwicklung ins Zentrum stellen konnte. Ein weiterer, vielleicht der wichtigste Aspekt dieser schwierigen Phase: Ich durfte viel, viel kostbare Zeit mit meiner Familie verbringen.
Durch diesen Adventskalender hatte ich zudem seit langer Zeit wieder einmal die Möglichkeit, mich auch seelisch auf ein Weihnachtsfest vorzubereiten und so der eigentlichen Bestimmung des Advents zu folgen.
Der jährliche Einkaufs-Wahnsinn blieb ebenfalls aus, die großen beruflichen Aufgaben im In- und Ausland entfielen - leider - auch fast zur Gänze. Dafür ist dieses Jahr eben eine Stille eingekehrt. Und irgendwann konnte ich sie dann auch zulassen, und die Situation nützen - für eine so dringend notwendige Regeneration - körperlich wie geistig.
Nicht zuletzt deshalb kann ich heuer aus tiefstem ehrlichstem Herzen sagen: Ich bin in Weihnachtsstimmung. Trotz - oder vielleicht auch gerade wegen dieses herausfordernden, denkwürdigen und prägenden Jahres.
Selbst in den wildesten, vorweihnachtlichen Stress-Perioden der vergangenen Jahre, gab es zum Glück immer einen verlässlichen musikalischen Trigger, der spätestens am Vormittag des 24. Dezember auch bei mir die sehnlichst erwarteten Weihnachtsgefühle ausgelöst hat: .„JAUCHZET, FROHLOCKET“ schallte es dann - in guter Familientradition - aus den Lautsprechern des Plattenspielers.
Schon seit Jahren läuft bei uns die gleiche, in Ihrer Gesamtheit so unvergleichliche, Harnoncourt-Einspielung des WEIHNACHTSORATORIUMS von JOHANN SEBASTIAN BACH.
Überhaupt gilt und galt: Keine Feiertag ohne Weihnachtsoratorium - egal ob als Hörgenuß oder im allerbesten Fall sogar selbst im Advent auf der Konzertbühne gesungen - zumindest die ersten drei Kantaten gehören für mich untrennbar zur Vorbereitung auf das himmlische Wiegenfest.
Verbunden mit dem herrlichen Duft von frischen Vanillekipferln, Kerzen und Tannenzweigen, Weihrauch, dem Geruch von Lungauer Bauernbratwürsten (eine Weihnachts-Spezialität aus meiner Heimat), mir sehr wichtigen Musikstücken und der wahrscheinlich wichtigsten Zutat - einem offenen Herzen - wurde es Gott sei Dank noch immer kurz Weihnachten.
“Jauchzet, Frohlocket - oft preiset die (kommenden) Tage!” - Euch und Ihnen Allen wünsche ich von ganzem Herzen, dass ihr aus diesem so speziellen Weihnachtsfest 2020 so viele positive Aspekte (und negative Testungen) wie möglich ziehen könnt, und dass es insgesamt zwar vielleicht anders, aber dafür auch eine Spur bewusster, sensibler und besinnlicher wird.