Mit einem markanten Bläsersignal geht die Bergtour los und wir starten heute heute ausnahmsweise gleich „Am Gipfel“: Die sinfonische Dichtung „Eine Alpensinfonie“ von Richard Strauss ist ganz großes Kino - kein Bergfilm der Welt könnte sich einen besseren Soundtrack wünschen.
1915 vollendet das spätromantische Genie sein Meisterwerk, welches ursprünglich auf eine autobiographische Begebenheit zurückgehen soll, in welcher sich der 15-Jährige Strauss bei einer Wanderung verstiegen hatte und in der Folge in ein starkes Gewitter geriet.
Wie prägend und urgewaltig ein solches Naturerlebnis in freiem, alpinen Gelände sein kann, hab auch ich selbst bereits in meiner Kindheit erlebt.
Apropos Kindheit: Die Alpensinfonie löst in mir sofort tiefe Heimatgefühle und Sehnsucht nach den Bergen aus - ich muss dann beim Hören nur meine Augen schließen und schon führt mich meine Fantasie direkt in die heimatlichen Alpen.
Als unerreichter Meister der Programmmusik gelingt es dem Komponisten, einen wundervollen Film vor dem geistigen Auge der Hörerinnen und Hörer entstehen zu lassen. Man muss kein erfahrener Hochalpinist sein, um sich plötzlich wie im Adlerflug zu fühlen oder einen Fantasie-Gipfelsieg auf 3000 Metern zu feiern.
Strauss nimmt uns mit auf eine Bergtour, die, wie es sich gehört, bei Nacht beginnt, den Sonnenaufgang und Anstieg beschreibt, an einem Wasserfall vorbeiführt und seinen großen Höhepunkt am Gipfel hat. Jeder, der schon einmal am Berg war weiß: Das Schwierigste kommt erst, und zwar in Form des Abstiegs. Auch in der Alpensinfonie führt dieser durch Sturm und Gewitter bis die ganze Tour schließlich wieder in Stille und Nacht ihr Ende findet.
Für mindestens 107 - im von Strauss geforderten Idealfall sogar 130 - Musikerinnen und Musiker komponiert, ist dieses Werk auch für Orchester und Dirigent eine große Herausforderung.
Es zeigt die ganze Farbpalette und alle musikalischen Gestaltungsmöglichkeiten eines Klangkörpers. Die Berliner Philharmoniker (unter dem fantastischen Semyon Bychkov) sind ja unter anderem für Ihren großartigen Bläsersatz bekannt. Eine Qualität, welche in dieser Tondichtung besonders gut zur Geltung kommt und die sie auch in der heute vorgestellten Einspielung wieder einmal hinlänglich beweisen.
Generell habe ich zu Werken, die aus der Feder von Richard Strauss stammen, eine ganz besondere Beziehung. Aus irgendeinem mir unerklärlichen Grund führt der Komponist die Melodie immer wieder ganz genau dort hin, wo ich es mir aus tiefstem, musikalischstem Herzen wünsche. Diese Erfahrung habe ich vor allem immer dann gemacht, wenn ich eines seiner Werke kennengelernt und zum allerersten Mal gehört habe. Mit der fast einzigartigen Melodieführung allein ist es aber noch nicht getan: Es ist schlicht und einfach genial, wie Strauss mit Harmonien umgeht, mit welchem Farbenreichtum er orchestriert - ich kann und will mich diesen romantischen musikalischen Wunderwerken nicht entziehen.
Darüber hinaus versteht er es wie nur wenige andere Komponisten, die menschliche Stimme so perfekt einzusetzen. Sein großes Gespür für klassischen Gesang mag auch daran liegen, dass seine Frau selbst Sopranistin war und so viele seiner Werke (von Strauss selbst am Klavier begleitet) aufgeführt hat. Seine Lieder sind für mich übrigens die Schnittstelle zwischen meinen beiden Herzensangelegenheiten, dem Kunstlied und der Oper - wann immer ich selbst ein Programm gestalte, dürfen sie in selbigem nicht fehlen.
Vor wichtigen Vorstellungen, oder nach langen Probephasen bin ich öfters mit Kopfhörern hinter der Bühne anzutreffen - Menschen, die mit mir gearbeitet haben, kennen das ja nur zu gut. Das hat eigentlich praktische Gründe: Erstens bekommt man dann seine Ruhe, muss man nicht ständig reden und kann so die Stimme schonen. Und für den Fall, dass ich Inspiration brauche, hole ich mir selbige dann gerne genau mit schönen Aufnahmen. Die Alpensinfonie ist im Ranking dieser geheimen Playlist sehr weit oben anzutreffen. Vor allem, wenn es mir an Energie mangelt, wird sie so etwas wie mein ganz persönlicher musikalischer Zaubertrank, der mir (Adler)Flügel verleiht und meine Fantasie in Höchstform bringt. Vielleicht geht es Euch ähnlich - es liegt ja eine unglaubliche Urkraft in diesem Werk - und die können wir alle aktuell ja gut gebrauchen!