Die feierliche Eröffnung der olympischen Winterspiele 2006 in Turin habe ich als 19jähriger Zivildiener live im Fernsehen miterlebt. Der passionierte Wintersportfan in mir konnte die Wettkämpfe meiner damaligen Idole wie Hermann Maier, Benni Raich, Felix Gottwald oder Thomas Morgenstern nicht mehr erwarten und das Anschauen der Zeremonie gehörte “irgendwie dazu”.
Was mir und wahrscheinlich den meisten anderen Zuseherinnen und Zusehern am Beginn dieser Eröffnungsfeier sicher nicht bewusst war: Wenige Augenblicke später haben wir mit der ersten musikalischen Einlage einen historisch-schönen und zugleich sehr traurigen Moment der Operngeschichte live vor dem Bildschirm miterleben dürfen. Es sollte der letzte öffentliche Auftritt eines der größten Sänger aller Zeiten sein.
Ein unvergleichlicher Meister seiner Kunst, dessen sängerisch-künstlerische Dimension mir erst viele Jahre später klar wurde und mir, je weiter ich meinen persönlichen Weg in dieser Berufung vorangehen darf, immer mehr den Atem raubt. Wenn ich noch weiter zurück denke, muss ich schmunzeln, denn mein erster Berührungspunkt mit dieser Jahrtausend-Stimme war eine Best-of Pavarotti Sängerportrait-Aufnahme, die meine liebe Mama hauptsächlich beim Bügeln hörte.
Über Luciano Pavarotti, den aus einfachen Verhältnissen stammenden Menschen und seine Entwicklung zur Ausnahmeerscheinung und unvergleichlichen Legende, wollte ich eigentlich schon vor einem Jahr schreiben. Ich könnte es wahrscheinlich tagelang tun, es sprudelt nämlich regelrecht aus mir heraus - vor ehrlicher und tiefer Bewunderung für seine Kunst. Lange habe ich nach diesem speziellen Videodokument gesucht, und es erst heuer gefunden. Warum ich mich gerade auf diese Einspielung fixiert habe, ist mir gar nicht so klar, man könnte viele großartige Beispiele anführen. Vielleicht, weil es einer der wenigen Momente war, in denen ich Pavarotti bewusst und quasi live miterleben durfte. Wie gerne hätte ich ihn zumindest einmal in der Wiener Staatsoper gesehen. Wie so viele andere Menschen wäre ich hierfür ebenfalls - und liebend gerne - eine ganze Nacht mit der Decke vor der Stehplatzkassa gesessen. Was uns allen bis heute bleibt, sind die Erinnerung und Gott sei Dank unzählige Dokumente, Videos und Aufnahmen, welche die unvergleichliche stimmliche Perfektion des Luciano Pavarotti für die Nachwelt dokumentiert haben.
Dieser so natürliche, und für die Zuhörerinnen und Zuhörer in allen Lagen so mühelos wirkende Klang ist und bleibt eine Offenbarung, was Gesangstechnik und Beherrschung der Stimme betrifft. Heute weiß ich auch, dass sich Pavarotti vieles hart erarbeitet hat. Das ist echtes (Kunst)Handwerk mit dem ehrlichen Ziel, echte, pure Emotion in Töne zu verwandeln - ohne Filter, ohne irgendwelche Klangverfälschungen. Diese bis in feinste Nuancen erarbeitete Technik, wo jedes einzelne Intervall und jeder Tonansatz perfekt ausgeglichen und in der Waage sind: Ich kann es für mich drehen und wenden wie ich will - Luciano, Du warst einfach der Größte!
Der absolute Perfektionist Pavarotti, am Höhepunkt seines Schaffens angelangt, wurde einmal bei einer Konferenz vor lauter Gesangslehrern gefragt, was denn das Höchste sei, das er im künstlerischen Leben erreicht hätte. Er antwortete nicht, sondern sang eine klanglich perfekt ausgeglichene Quart c-f. “Was ist daran jetzt so besonders?”, entgegnete der Fragesteller. “Hat mir zehn Jahre, meines Lebens gekostet”, antwortete der Meister.
Zurück nach Turin: Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt war Luciano Pavarotti von seiner schweren Krankheit gezeichnet. Noch einmal bekommt er die ideale Bühne: Olympia, live, OpenAir und die ganze Welt schaut zu. Ausgewählt hat er sich für diesen denkwürdigen Abend eine der bekanntesten Tenorarien überhaupt, "Nessun Dorma" aus Puccinis Turandot, eine der (vielen) Partien, für die er auf den größten Bühnen dieser Welt neue Maßstäbe gesetzt hat. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Je bekannter das Stück, die Melodie, desto höher der Einsatz im Spiel, welches uns Sängerinnen und Sänger in diesen Momenten die Welt bedeutet.
Wenngleich Pavarotti an diesem Abend - aus bekanntem Grund vielleicht nicht mehr ganz an seine Höchstleistungen aus vergangenen Tagen herankommt: Es ist erstens völlig egal, und zweitens ist seine Darbietung immer noch "nicht von dieser Welt". Wie unglaublich schwer das ist, einfach ruhig zu stehen und zu singen, ohne irgendwelche Hilfsbewegungen und Tänze, einfach dastehen und von Herzen musizieren. Genau das geht mir heute oft ab. Vor lauter Show, Optik und Tam Tam vergisst man auf ebendiese Stimmen, für die die Leute vor der Oper gezeltet haben. Jene Stimmen, bei denen man als Zuhörer einfach nur mehr die Augen schließen muss und sich im nächsten Moment in einer besseren Welt wiederfindet, in der man zugleich staunen, weinen, lachen muss. Puccinis fast kitschig schöne Melodie erledigt dann den Rest.
Pure Emotion, die in Töne verwandelt wird. Ohne Filter, ohne irgendwelche Klangverfälschungen. Und ein Sänger, der - wenn man ihm genau zuhört und in die Augen sieht - ganz genau spürt, welche große Bedeutung dieser Moment (noch einmal) hat. Grazie Luciano.